Musst du ständig am Handy hängen
Alleine Erziehen: Musst du ständig am Handy hängen
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Mediennutzung unserer Kinder und Jugendlichen und was wir darüber wissen sollten

von Jana Strahl

In der heutigen Zeit spielen Medien eine wichtige Rolle im Leben von Jugendlichen. Ob Fernsehen, Social Media, Online-Gaming oder Smartphones - die Mediennutzung nimmt ab einem Alter von etwa 10 Jahren und in der Pubertät oft stark zu. Eltern stehen vor der Herausforderung, mit dieser Entwicklung umzugehen und ihre Kinder dabei zu unterstützen, eine gesunde Mediennutzung zu entwickeln.

In der Pubertät beginnen Jugendliche, sich von ihren Eltern abzulösen und ihre eigene Identität zu entwickeln. Medien bieten hierfür eine Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln, verschiedene Rollen auszuprobieren und mit anderen in Kontakt zu treten. Insbesondere Social Media ermöglicht es Jugendlichen, ihre eigene Persönlichkeit zu präsentieren und sich mit Gleichaltrigen zu vernetzen. Online-Gaming bietet zudem die Möglichkeit, in virtuellen Welten eigene Regeln und Grenzen zu setzen und neue Freundschaften zu schließen. Selbstverständlich nutzen Jugendliche digitale Medien aber auch, um sich zu informieren oder zu recherchieren.

Der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest (mpfs) führt seit Ende der 90er Jahre regelmäßig Studien zum Medienumgang von Kindern und Jugendlichen durch, im Fall von Jugendlichen sogar jährlich (JIM-Studie = Jugend, Information, Medien). So ist statistisch belegt, dass z.B. die Geräteausstattung bzw. die Medienzugänge für Jugendliche in den letzten zwanzig Jahren immer nahezu bei 100% lagen, digitale Medien also aus dem Leben unserer Jugendlichen nicht wegzudenken sind (vgl. JIM-Studien von 2000 bis 2022, befragte Altersgruppe 12-19 Jahre).

Dennoch wissen Eltern, dass eine intensive bzw. übermäßige Mediennutzung auch Risiken mit sich bringen kann. So sind sie herausgefordert, ihre Kinder und Jugendlichen vor diesen Risken zu schützen. Das ist allerdings häufig leichter gesagt als getan. Das habe auch ich als Mutter einer inzwischen 22-jährigen Tochter so erlebt und fühlte mich insbesondere auf diesem Terrain oft sehr ambivalent. Das höre ich auch sehr häufig von Eltern in meinen Elternkursen und medienpädagogischen Elternabenden. Warum ist das so? Weshalb tun wir uns gerade in diesem Bereich so schwer?

Vor einiger Zeit habe ich ein Zitat von Douglas Adams (Britischer Schriftsteller, bekannt durch Science-Fiction-Reihen wie „Per Anhalter durch die Galaxis“ und „Doctor Who“) gelesen, das die Gründe für diese elterlichen Ambivalenzen recht gut auf den Punkt bringt:

„Alles, was es schon gibt, wenn du auf die Welt kommst, ist normal und üblich 
und gehört zum selbstverständlichen Funktionieren der Welt dazu.
Alles, was zwischen deinem 15. und 35. Lebensjahr erfunden wird, ist neu,
aufregend und revolutionär und kann dir vielleicht bei deiner beruflichen Karriere helfen.
Alles, was erfunden wird, nachdem du 35 bist, richtet sich
gegen die natürliche Ordnung der Dinge.“
(übersetzt aus dem Englischen)


Eltern – und ich habe das auch – teilen die Welt noch immer in analog und digital. Vielleicht, weil wir selbst in einer mehrheitlich analogen Welt aufgewachsen sind, vielleicht aber auch, weil wir uns entschieden haben, der digitalen Welt nicht so viel Bedeutung beizumessen.

Unsere Kinder jedoch erleben diese – mehr und mehr – digitalisierte Welt von Anfang an, es IST ihre Welt, sie trennen nicht in analog und digital und Eltern sollten das auch nicht tun.

Tatsächlich geht es nicht mehr nur um den richtigen Umgang mit den unterschiedlichen Social-Media-Plattformen, wie WhatsApp, Instagram, TikTok und Co., es geht um eine digitale Mündigkeit für unsere Kinder. Die Digitalisierung zieht sich durch alle Lebensbereiche und beeinflusst uns täglich auf ganz unterschiedliche Weise. Das Kind hat eine Aufgabenstellung der Hausaufgaben vergessen, von der Tafel abzuschreiben oder gar das ganze Arbeitsblatt liegen lassen? Kein Problem, Nachricht in den WhatsApp Klassenchat, einer der Klassenkameraden postet ein Foto und die Aufgabe kann doch noch erledigt werden. Arzttermine kann man verschiedentlich schon online buchen. Die benötigten College-Blöcke für das Oberstufen-Kind werden im Großpack im Internet geshoppt, selbst nicht so technikaffine Menschen sprechen mit „Siri“, „Cortana“ oder „Alexa“ und die sogenannten „Fahrerassistenzsysteme“ in unserem Auto bringen mehr Sicherheit auf die Straße.

Die Veränderungen sind da, es wird nie wieder eine andere als eine digitalisierte Welt geben und die Vermittlung digitaler Kompetenzen ist daher elementar.

Zunächst müssen wir verstehen, was unsere Kinder und Jugendlichen dazu bewegt, das Handy ständig in der Hand zu haben, stundenlang auf „Instagram“ unterwegs zu sein und ständig etwas zu posten oder sich in einem Computerspiel geradezu suchtartig zu verlieren. Wir wissen – dank Alfred Adler – dass wir Menschen von einer Sehnsucht nach Zugehörigkeit geprägt sind. Dieses Zugehörigkeitsbedürfnis wird mittels Legitimationssignalen gestillt. Sich in den sozialen Netzwerken aufzuhalten, ist eine Form, Legitimationssignale zu sammeln und auszutauschen – Likes, Follower, Kommentare sammeln, sendet die Botschaft „Du gehörst zu uns.“ Je mehr Signale dieser Art, desto höher die Bedürfnisbefriedigung.

Zuweilen haben Eltern jedoch das Gefühl, ihre Kinder sind geradezu süchtig nach Handy, Tablet und Gaming. Von Sucht können wir hier sicher nicht so schnell sprechen, aber warum fällt es den Kindern und Jugendlichen mitunter so schwer, das Smartphone für ein paar Stunden oder gar ganze Tage zur Seite zu legen? Marketingstrategen benannten dieses Verhalten vor ungefähr zwanzig Jahren zum ersten Mal „Fear of missing out“, kurz FOMO. FOMO beschreibt die Angst, Informationen, Ereignisse, Erfahrungen oder Entscheidungen zu verpassen.

Das ist auch kein neues Phänomen, schon zu analogen Zeiten gab es Jugendliche, die auf keiner Party fehlten und fast immer bis zum Schluss blieben, selbst wenn das Ärger mit Eltern bedeutete. Auch hier lag die Angst, es könnte etwas stattgefunden haben, an dem man nicht beteiligt war, zugrunde. Heute sind es vor allem die Sozialen Medien, die die FOMO nähren. Zumal es hier so schön einfach scheint, das Zugehörigkeitsbedürfnis erfüllt zu bekommen. Beim Smartphone den Flugmodus zu aktivieren oder es gar auszuschalten, könnte mit sich bringen, eine Nachricht, einen Like, einen Kommentar etc. zu verpassen.

Hier ist es enorm wichtig, dass Eltern vor allem eine Art Rahmen mit ihren Kindern finden, zu welchen Zeiten wird das Handy oder der PC ausgeschaltet.

Eltern können und müssen im Umgang mit digitalen Medien unterstützen und begleiten. Das geschieht am besten auf Augenhöhe mit den Kindern, für die das Internet und die Digitalisierung einen völlig selbstverständlichen Lebensrahmen bildet.  Viele Eltern sind total überfordert, weil es sich bei dem Thema „Digitale Medien und Kinder“ tatsächlich um ein großes, beinahe unüberschaubares Gebiet handelt, das sich zudem stetig ändert und weiterentwickelt. Gerade hat man sich mit Instagram befasst, schon nutzt der/die Heranwachsende eine andere Social-Media-Plattform. Eltern haben – und das ging und geht mir ebenso – ständig das Gefühl, der digitalen Entwicklung hinterherzuhinken.

Hier kann es helfen, sich von dem Anspruch zu verabschieden, als Eltern grundsätzliche einen Wissensvorsprung haben zu müssen. Uns prägt häufig noch die altmodische Idee, dass es Wissenshierarchien gibt, dass wir Eltern an der Spitze dieser Hierarchie stehen und für manches Wissen mag das auch stimmen. Die allermeisten Wissensgebiete sind aber weder statisch, noch repräsentieren sie unumstößliche Wahrheiten. Digitalisierungsthemen gehören dazu. Warum sollen Eltern hier nicht gemeinsam mit ihren Kindern lernen, also Prozessbegleiter werden. Zudem dürfen wir unseren persönlichen Geschmack und ästhetisches Empfinden nicht mit einer sachkundigen Einschätzung einer Plattform oder Technologie bzw. einer pädagogischen Wertung verwechseln. Als Eltern müssen wir YouTube-Kanäle wie „Julian Bam“ oder „BibisBeautyPalace“ nicht erhellend oder witzig finden, aber wir sollten mit unseren Kinder z.B. darüber sprechen, wie die Kommunikationskultur in den Kommentaren aussieht, ob Schleichwerbung in den Videos versteckt ist, wie YouTuber Geld verdienen oder was das Geschäftsmodell von YouTube ist.

Verständnis und eine offene Kommunikation sowie ein gutes Vorbild sein, wird helfen, mit alles Herausforderungen, auch den digitalen gut umzugehen.

Jana Strahl, Bistum Magdeburg
verheiratet, Mutter einer erwachsenen Tochter; arbeitet als pädagogische Referentin in der Erwachsenen- und Familienbildung mit Eltern und Erzieher*innen sowie in der Elternberatung