Wie kann man mit Kindern über die Trennung ihrer Eltern reden?
Von Jana Strahl
Die Lebensgemeinschaft bzw. Ehe kriseln, Streitereien häufen sich, fressen Energie und belasten nur noch. Die Kinder leiden unter dem Zoff, den Eltern geht es schlecht damit, doch das Unaussprechliche traut sich keiner zu fragen: Sollen wir uns trennen? …
Und was ist mit den Kindern? Können wir uns trennen und gemeinsam gute Eltern bleiben? Und wie sagen wir das unseren Kindern? Wie fassen wir das in Worte, für das es eigentliche keine guten Worte gibt? Vielleicht warten wir doch lieber noch damit, vielleicht renkt sich ja alles wieder ein.
So oder ähnlich laufen wahrscheinlich in den meisten Partnerschaften die inneren Monologe ab, wenn sie in dieser Situation sind.
Und dann kommt der Tag, an dem die Entscheidung fällt, dass die Partnerschaft enden soll und eine Trennung beschlossen ist. Und nun muss man diese Entscheidung irgendwie den Kindern mitteilen. Aber wie?
Vorab das Wichtigste: Es endet nur EINE Partnerschaft – nämlich die zwischen Ihnen als Mann und Frau, Ihre Liebesbeziehung und Lebensgemeinschaft. Sie bleiben aber ein Elternpaar, diese Partnerschaft endet nie wirklich, seien Sie sich dessen bewusst.
Die Eltern(teile) sind der stärkste Faktor bei der Frage, ob ein Kind unter deren Trennung leidet und wie sehr. Hat ein Kind die Sicherheit, dass sich bis auf den Wohnort des einen Elternteils nicht viel für es ändert, wird es auch nicht leiden. Natürlich bleibt es ein Einschnitt, aber es macht einen Unterschied, ob es sich dabei „nur“ um eine große Veränderung handelt, wie es einige im Leben gibt.
Der Tag der Verkündung…
Ist die Entscheidung einmal gefallen, planen Sie das Gespräch mit Ihren Kindern. Ja vielleicht spielen Sie es gar einmal durch. Was könnte passieren? Welche Fragen könnten gestellt werden? Was antworten Sie? Was ist, wenn eines der Kinder anfängt, zu weinen? Was, wenn Sie oder Ihr(e) Partner*in die Beherrschung verliert?
Schauen wir uns diese Fragen einmal an und beginnen mit der letzten:
Fängt einer von beiden an, die Beherrschung zu verlieren oder ist von vornherein nicht gut drauf, vertagen Sie das Gespräch bzw. unterbrechen Sie es! Es ist wichtig, ruhig zu bleiben, auch wenn es schwierig wird. Ist das Gespräch schon im Gang, bleiben Sie authentisch und versuchen Sie, über Ich-Botschaften zu erklären, wie es Ihnen geht und warum Sie lieber unterbrechen oder zu einem anderen Zeitpunkt einen neuen Versuch starten möchten – „Ich merke, dass es mir gerade sehr schwerfällt, mit euch zu reden. Ich brauche mal eine Pause.“ Sammeln Sie sich, holen Sie tief Luft, tun Sie etwas, um den emotionalen Stress abzubauen und starten Sie einen neuen Versuch, vielleicht auch an einem anderen Tag.
Seien Sie ehrlich und bleiben Sie bei der Wahrheit! Sie müssen nicht alles erzählen (sollten Sie auch nicht, insbesondere bei kleineren Kindern), aber was Sie erzählen, sollte die Wahrheit sein. Kinder sind entwicklungspsychologisch insbesondere im Vorschulalter ichbezogen eingestellt und neigen dazu, sich selbst für das, was in ihrer Umwelt geschieht, zu beschuldigen. Je deutlicher die Eltern den Vorgang der Trennung erläutern, umso unwahrscheinlicher, dass sie sich eine Geschichte ausdenken, in der sie selbst die Hauptrolle spielen, um sich die Trennung zu erklären.
Ihre Kinder brauchen die Sicherheit, Ihnen und Ihren Worten vertrauen zu können. So verstehen sie am ehesten, dass die Entscheidung ihrer Eltern endgültig ist, aber nicht bedeutet, dass sie ihnen als Mutter und Vater nicht mehr zur Seite stünden.
Machen Sie sich keine gegenseitigen Vorwürfe, auch nicht indirekt! Vermeiden Sie Sätze wie „Mama will, dass ich ausziehe.“; „Papa hat mich betrogen.“
Es kann durchaus gut sein, den Kindern zu sagen, dass Sie alles in Ihrer Macht Stehende getan haben, um Ihre Beziehung zu retten und damit Ihre Familie zusammen zu halten, dass es aber leider nicht gereicht hat. Wenn Kinder das Gefühl haben, die Trennung Ihrer Eltern ist eine eher impulsive Entscheidung, hegen sie evtl. die Hoffnung, es gebe einen Weg, diese umzukehren. Geben Sie ihnen aber das Gefühl, diese schwerwiegende Entscheidung gut durchdacht und als „die beste Lösung für alle“ erkannt zu haben, passiert dies höchstwahrscheinlich nicht.
Wichtig: Die Kinder müssen verstehen, dass nicht sie verantwortlich sind, für das, was passiert ist. Ebenso brauchen sie das Gefühl, dass sie nach ihrer Meinung gefragt werden und diese auch gehört wird. Außerdem brauchen die Kinder Raum, ihre Gefühle ausdrücken zu können. Sie müssen weinen dürfen und ggf. auch mit anderen darüber reden dürfen.
Fragen Sie Ihr(e) Kind(er), ob sie alles verstanden haben und geben Sie Ihnen das Gefühl, jederzeit für Fragen ansprechbar zu sein.
Wie Kinder möglicherweise reagieren…
Je nach Alter unterschiedlich. Vielleicht, indem sie weinen, vielleicht mit Rückzug. Insbesondere jüngere Kinder reagieren aber auch manchmal vermeintlich paradox, so als hätten man ihnen nur eine alltägliche Information mitgeteilt. Sie nehmen es zur Kenntnis und „gehen zur Tagesordnung“ über.
So beschreibt der Schweizer Kinderarzt Remo H. Largo (1943-2020) in seinem gemeinsam mit Monika Czernin veröffentlichten Buch „Glückliche Scheidungskinder“ (Piper Verlag 2016) das Beispiel der vierjährigen Alexandra: Mutter Verena versucht, ihre Tochter in einer entspannten Situation in ein Gespräch zu verwickeln, um ihr zu sagen, dass sie am Vortag gemeinsam mit Alexandras Papa Tillmann bei Gericht war und die Scheidung eingereicht hat. Mit behutsamen Worten erklärt sie: „Dein Vater und ich waren verheiratet. Dann haben wir uns aber nicht mehr so gut verstanden, und deshalb haben der Papa und ich uns jetzt scheiden lassen.“ Nachdem sie kaum eine Reaktion von Alexandra bekommt, die weder irritiert noch traurig wirkt, fügt sie noch hinzu: „Aber weißt du, Papa und Mama haben dich immer lieb und werden auch weiterhin für dich da sein.“
Prüfend schaut Verena ihre Tochter an, die aber ihrerseits mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein scheint und sich mit der Cornflakes Schachtel beschäftigt: „Warum kleben die [Cornflakes] so zusammen?“ Das Verhalten ihrer Tochter macht Verena ratlos, ob sie der Kleinen noch etwas mehr erklären soll. Sie entscheidet sich jedoch, im gemeinsamen Tagesablauf (Gang zum Kindergarten) weiterzumachen.
Remo Largo erklärt die Reaktion der kleinen Alexandra damit, dass Trennung und Scheidung kein unangenehmes Thema, sondern überhaupt kein Thema für Kinder in diesem Alter sind. Die Schwere und Tragweite der Entscheidung ihrer Eltern kann Alexandra nicht begreifen, sich nichts darunter vorstellen. „Deshalb hat sie auch nichts zu verdrängen und reagiert nicht auf die Erklärungen ihrer Mutter.“ (Largo & Czernin, 2016)
Ein anderes Beispiel beschreibt den gleichaltrigen Peter, der etwas ganz Anderes erlebt. Die Trennung von Peters Eltern verlief sehr viel „geräuschvoller“ mit vielen unschönen Ereignissen, die von Enttäuschung, Schmerz und Streit geprägt waren. Als Peters Eltern Barbara und Thomas bewusstwird, wie sehr Peter unter der Situation leidet, versuchen sie gemeinsam, mit dem kleinen Peter zu reden. Peter reagiert völlig verständnislos, weint und beteuert, dass er das nicht möchte.
Das Beispiel von Peter spiegelt wohl eher die mehrheitliche Situation bei Trennungen wider: eine Zeit wiederholter Zuspitzungen.
Die meisten Elternpaare meinen es gut und wollen trotz der Schwierigkeiten miteinander, ihre Kinder authentisch und transparent aufklären. Das wollten auch Peters Eltern, der aus den Worten der Mutter heraushört, dass der Vater weggeht und ihn verlässt. Dabei brauchte die Mutter das nicht wortwörtlich zu sagen, er interpretiert das Gehörte unbewusst einfach so. Verlassen zu werden – insbesondere von einem der beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben – ist das Schlimmste, was Kindern passieren kann. Peters Reaktion ist also vollkommen verständlich, denn dass der Vater zwar geht, emotional aber für ihn dableibt, versteht Peter nicht. Er wird Stück für Stück und über konkrete Erfahrungen erleben müssen, dass der Vater immer noch für ihn da ist und sich wie bisher um ihn kümmert, auch wenn er nicht mehr mit der Mutter zusammenwohnt.
Warum aber reagiert Peter so anders als Alexandra aus dem ersten Beispiel? Beide Kinder sind gleich alt und scheinen doch absolut gegensätzliche Wahrnehmungen in der Trennungssituation ihrer Eltern zu haben.
Peters Eltern haben in der Trennungsphase viel gestritten, was sich vor ihrem Sohn selbstverständlich nicht verbergen ließ. Und hier möchte ich Sie als Mutter bzw. Vater sensibilisieren: Sie können nur dann sicher sein, dass ihre Kinder nichts von einem Streit mitbekommen, wenn sie gerade nicht zu Hause sind. Ansonsten werden Sie nie ganz vermeiden können, dass dies vorkommt. Darüber hinaus haben Kinder feinfühlige Antennen und nehmen Spannungen zwischen den Eltern wahr, auch wenn diese kein einziges böses Wort verlieren. Verzweiflung und seelische Not, auch Trauer in Worten der Eltern bleiben Kindern nicht verborgen. Dabei können Kinder sich nicht von den negativen Emotionen ihrer Eltern abgrenzen, sich innerlich distanzieren und sich sagen: „Ich weiß, ihr habt Probleme, aber die haben ja nichts mit mir zu tun. Eure Streitereien gehen mich nichts an, ich weiß ja, dass ihr mich liebt.“
Durch den Versuch, ihre Emotionen zu kontrollieren vermitteln Erwachsene oft Doppelbotschaften. In Gesprächen bemühen sie sich um Freundlichkeit und Frieden, im alltäglichen Umgang jedoch regieren wieder die negativen Gefühle, wobei Körpersprache deutlich stärker auf die Kinder wirkt als gesprochene Sprache. Was sollen die Kinder nun glauben, den Worten oder dem Verhalten?
Wie die Eltern miteinander umgehen, jede körperliche Abwehr des Partners, jedes Gesicht verziehen wirken auf das Kind. Es bezieht dieses Verhalten auf sich, fühlt sich abgelehnt, wenn es den Eltern nicht gut geht: „Sie haben mich nicht mehr lieb.“
Könnte eine ruhige, aufrichtige, emotional kontrollierte Aussprache der Schlüssel zum Erfolg sein? Es ist tatsächlich schwierig, in diesen Momenten nicht zu viel zu sagen. Falsch verstandene Aufrichtigkeit kann ein Kind verwirren und verängstigen. Zudem braucht es Worte, die das Kind versteht. Manchmal ist es hilfreicher zu warten, bis das Kind mit Fragen kommt, weil es sich dann schon selbst seine Gedanken gemacht hat. Vermutlich wird es dann Fragen stellen, die seinem Denken entsprechen und seine Sorgen ausdrücken. Antworten Eltern dann möglichst kindgerecht und authentisch darauf, kann das Kind meist mehr damit anfangen als mit den zurecht gelegten Erklärungen von Mutter und/ oder Vater. Darüber hinaus sollten Eltern ihre Erklärungen auf Zukunft ausrichten. Wie geht es nach der Trennung weiter? „Wir haben uns das so und so überlegt …“, verknüpft mir der Frage, was das Kind dazu meint, macht Mut und Hoffnung.
Vermeiden sollten Eltern, Erklärungen zum „Warum“ ihrer Trennung. Diese gehen weit an der Lebenswelt und dem, was das Kind verstehen kann, vorbei. Begründungen wie „Wir haben uns nicht mehr lieb“ oder „Wir streiten nur noch“ leuchten Kindern nicht ein. Sie können sich unter Ehe, Trennung und Scheidung nichts vorstellen. Für das Wohlbefinden der Kinder ist entscheidend, was sich verändern und was sich eben nicht verändern wird. Bestehendes, Vertrautes gibt Sicherheit – Unbekanntes, Neues kann verunsichern. Remo Largo schreibt dazu, dass Eltern ihr Kind auf die anstehenden Veränderungen vorbereiten sollten, und zwar in einer Sprache, die das Kind versteht. Was es bedeutet, wenn er jedes zweite Wochenende beim Vater ist oder dieser zu Besuch kommt, kann beispielsweise ein Vierjähriger nicht begreifen. „Und selbst ältere Kinder haben mit vielen Aspekten des erwachsenen Weltbildes ihre Verständnisschwierigkeiten.“
An den Zeitpunkt, als sie von der Trennung ihrer Eltern erfahren haben, erinnern sich die meisten Kinder nicht, wohl an den Zeitpunkt, als ein Elternteil ausgezogen ist. Ist dieser Elternteil für das Kind weiterhin „verfügbar“ und als Bezugsperson vorhanden, verläuft die Trennung für das Kind in diesem Punkt ohne gravierende Folgen. Die Beziehung zum ausgezogenen Elternteil bleibt bestehen und trägt weiterhin. Das Wohlbefinden des Kindes hängt an der Zeit, die die Eltern aufbringen und an deren innerer Bereitschaft, wirklich für dieses Kind da zu sein.
Schlussfolgernd schreibt Largo, dass Eltern dem Gespräch mit den Kindern über die Trennung geradezu mystische Bedeutung beimessen und sich Entlastung und Verstehen erhoffen. Es ist jedoch deutlich wichtiger, welche Erfahrungen die Kinder in Zukunft machen.
Wie bekommt ein „Wir haben dich weiterhin lieb und werden weiterhin für dich da sein.“ Substanz?
Halten Sie an den gemeinsamen Aktivitäten mit dem Kind fest, die Sie auch vor der Trennung gemacht haben! Das verbindet Sie mit Ihrem Kind. Bemühen Sie sich um Verlässlichkeit und Einfühlsamkeit! Seien Sie ganz bei Ihrem Kind, bleiben Sie präsent und aufmerksam für dessen Bedürfnisse!
Das Wichtigste zum Schluss:
Ihr Kind ist die Summe ihrer Gene und der des anderen Elternteils. Diese Gene sind genau gleich verteilt – 50% von Ihnen und 50% von Ihrem/ Ihrer (ehemaligen) Partner/ -in. Beschimpfen Sie im Beisein Ihres Kindes den anderen Elternteil, so beschimpfen Sie auch immer einen Teil in Ihrem Kind. Seien Sie sich dessen bewusst und versuchen Sie das zu vermeiden, so schwer das auch sein wird.
Quelle: "Glückliche Scheidungskinder" von Remo Largo & Monika Czernin
(Piper Verlag; 4. Auflage 2018; ISBN 978-3-492-30498-6)